Leipziger Synagogalchor in Dresdens Frauenkirche
Das ist eine abenteuerliche Geschichte. Als der Chor 1969 händeringend Solistenersatz suchte, weil dem jüdischen Kantor die Einreise aus Westberlin in die DDR verweigert worden war, bin ich eingesprungen. Und es dauerte nicht lange, bis mich die Literatur, die die Nazis ausrotten wollten, bewegt und fasziniert hat.
Die Synagogalmusik des 19. Jahrhunderts ist in Israel kaum noch bekannt…
Das stimmt. Bei einem Konzert, das wir in Haifa für 800 Studenten gegeben haben, sagte der Rektor: Legt eure Blätter und Stifte weg und hört einfach zu, denn das ist die Musik eurer Väter und Großväter.
Wie reagieren ältere Menschen?
Mit Trauer und Freude. Sie hören aus deutschen Mündern Lieder, die sie trotz Verbotes im Ghetto gesungen haben.
Stärken Sie diese Reaktionen?
Ja. Wir sind keine jüdischen Menschen, sondern interpretieren eine für uns fremde Literatur. Unser Anspruch besteht darin, dem Ursprung so nah wie möglich zu kommen. Ich erinnere mich oft an ein Konzert in Boston, als sich eine deutsche Jüdin bei mir entschuldigte, die ihre Familie in Auschwitz verloren und seit 1945 kein Wort deutsch gesprochen hatte. Beim Konzert hat sie erfahren, dass es ein anderes Deutschland gibt, mit dem sie sich versöhnte.
Ist die Dresdner Frauenkirche für Sie ein besonderer Ort für ein Konzert?
Auf jeden Fall: Es ist ein Ort der Begegnung und Erinnerung. Dass wir hier singen dürfen, ist ein Gottesgeschenk. Eigentlich müsste man danach aufhören.
Aufhören – meinen Sie das ernst?
Ich hatte es vor. Aber im Sommer steht eine Konzertreise nach Israel an. Den Chor werde ich sicher noch einige Jahre leiten. Was die Kantorensoli betrifft, werde ich mir bald sagen müssen: Helmut, du hast genug gesungen. Sonst sagt es jemand anderes.
Leipziger Volkszeitung (LVZ)